(13) Rückblick und Vorschau – eine Besichtigung der Zeit
Eine Besichtigung der 30 Jahre nach der Wende zeigt positive und negative Ereignisse. 30 Jahre sind mehr als ein Drittel eines Menschenlebens!
Sollte der geneigte Leser diese Textzeilen als erstes zu Gesicht bekommen, müsste er vorab die Abschnitte 1 – 13 lesen, indem er diese WWW-Seite hoch scrollt.
*Der Blick zurück
Schaut man ausgehend vom Wendejahr 1989 auf heute, kommen viele Gründe zum Vorschein, die eine weitere Annäherung von Ost und West immer noch verhindern. Bessere Umfrageergebnisse zur Annäherung wird es erst geben, wenn auch die letzten „gelernten“ DDR Bürger das Zeitliche gesegnet haben. Diese Zeit ist nicht mehr so fern.
Zu tiefst wurden die Beschädigungen und das unverdient Unrecht nach der Wende empfunden. Innerhalb kürzester Zeit brach alles ein, wofür DDR Bürger gelebt hatten. Zu allem Überfluss drängten sich dann auch noch diejenigen in den Vordergrund, die ihnen erklärten, wie unwürdig alles Bisherige war, wie unbedeutend in Leben.
Arbeitslosigkeit, der Verlust aller bisherigen Werte, Existenzängste und und viele anderen Befindlichkeiten verhindern bis heute ein weiteres aufeinander zugehe. Übrig geblieben von ihrem Leben ist der „Grüne Abbiegepfeil“ und das „Ampelmännchen“. Die Treuhand hat mit der Verschleuderung des Volksvermögens, also ihrem Vermögen, einen großen Anteil an der gegenwärtigen Situation. Die neuen Freiheiten wurden eher bedrohlich als befreiend empfunden. Das neue Format der westlichen Werte verunsichert noch immer bis heute.
*30 Jahre Schule nach der Wende
Meine 30 Jahre danach hatten es auch in sich.
Arbeit, Wohnung, Leben – alles lief einfach weiter. Neugierde auf das Neue war auch da. Meine Aktivitäten im Bereich der Bildung und der Suche nach Neuem führte ich einfach fort und versuchte mir und vielen anderen Kollegen die neu Situation zu verdeutlichen, zu erklären und sie dabei mitzunehmen.
Am Anfang war alles neu, interessant. Der Kreativität waren kaum Grenzen gesetzt in der Umbruchzeit. Vieles, was bisher in unserer Schule als richtig gesehen wurde, landete im Mülleimer. Das neue westliche Schulsystem kam Schritt für Schritt über uns mit dem Muff der Kaiserzeit, der Reformpädagogik der 20er Jahre, dem Gedankengut der 68er.
Eher zeitgemäße Ansatzpunkte des DDR Schulsystems wurden bewusst nicht genutzt. Länder, die diese Struktur übernommen und weiter entwickelt haben, zeigen in weltweiten Vergleichen von Schülerleistungen die besten Ergebnisse bei PISA. Jetzt verstanden wir erst Kollegen aus den alten Bundesländern, die gewarnt hatten in der Umbruchzeit, dass wir aufpassen sollten, damit nicht alles zerstört wird, was zukunftsweisend war in DDR Schule.
Nach 10 – 15 Jahren Wende war dann die Luft raus und die Vereinigung schleppt sich bis heute im Schneckengang weiter.
Was viele normale DDR Bürger bis heute abstößt, ist die alleinige Macht des Geldes. Alles basiert auf Profit. Geld und Gewinnstreben überschatten das Soziale in der Marktwirtschaft. Man lebt um zu arbeiten und zu konsumieren, damit der Kreislauf weiter gesteigert werden kann. Von Zukunftsvisionen ist keine Spur in Politik vorhanden. Natürlich, daran sind die Lobbyisten auch nicht interessiert. Nach jeder Wahl ändert sich die Richtung im Minimalbereich. Bedeutendes geschieht nicht.
*Politik ohne Zukunftsvisionen
Zukunftsvisionen auf allen gesellschaftlichen Ebenen fehlen, besonders im Bereich Bildung. Es reicht nicht aus, Atom – und Kohlekraftwerke abschalten zu wollen als undurchdachtes Zukunftsversprechen. Bildungsperspektiven sollten in die gesellschaftliche Diskussion eingebracht werden. Was da für die nächsten Jahrzehnte geplant wird, müssen diejenigen umsetzen, die noch gar nicht geboren sind. Die müssen Konzepte entwickeln für etwas, was wir heute nicht einmal ahnen können. Schule und Lernen werden andere Dimensionen erreichen.
Visualisierte Texte greifen immer stärker in unser heutiges Leben ein; über Buchstaben codierte Inhalte werden stärker überlagert in der gesellschaftlichen Kommunikation. Um die immer stärker auflaufende Wissensflut in Zukunft zu bewältigen, muss sie interpretiert und in Zusammenhänge gestellt werden können. Das bedeutet, methodisches, konzeptionelles, systematische Wissen zu erwerben im engen Bündnis mit der Digitalisierung. Denken wir darüber nach?
Aus einem unerfindlichen Grund scheint das aber keine Option für die Politik zu sein. Alles läuft althergebracht weiter in kleinstaatlicher Zersplitterung mit mehr als 2000 Lehrplänen, einer immer größer werdenden Anzahl von Schulformen und Schulträgern, unterschiedlichsten Lernforderungen, Schulfächern, Prüfungsinhalten u.a.m.
Die Differenzierung unter dem Deckmantel von Freiheit schreitet weiter unkontrolliert voran und der Staat tritt ständig weitere Bereiche an andere Schulträger ab. Bildung wird wieder zur Geldsache in den Privatschulen und der Staat verwaltet dann nur noch die Restschulen.
Im Bildungsbereich und vielen Kultusministerien haben sich in Jahrzehnten, seit der Zeit der 68er, immer mehr grünlich getupfte Menschenfreunde angesammelt, die zu viel von der „Milch der Menschenliebe getrunken“ haben. Schule ist immer stärker zum Spaßfaktor, zur Unterhaltung ohne Anforderung und Disziplin verkommen. Dem Lernen soll immer stärker der Anschein von Disziplin, Pflicht, Anstrengung, Arbeit entzogen werden. Der Lehrer wird Unterhalter oder Kasper vor der Klasse; Schüler, Eltern, Gesellschaft arbeiten Probleme an ihm ab. Dieser Trend steht den Anforderungen des Arbeitslebens extrem gegenüber.
*Im Heute werden unsere Chancen für morgen verspielt
Jeder hat Schule besucht über viele Jahre, hat sie erlebt, geliebt, gehasst und manchmal aktiv an der Demontage des Pädagogen mitgearbeitet. Jetzt weiß er ganz genau, diesen Beruf will er nicht ergreifen. Ergebnis: wenig Bewerbungen für ein Studium Lehramt.
Irgendwie ist der Gedanke komplett abhanden gekommen, dass das Arbeitsleben ganz anders geartet ist, dass es harte Bandagen gibt und feste Arbeitsdisziplin, Ein- und Unterordnung, dass Pünktlichkeit und Pflichtbewusstsein erwartet werden. Schule bereitet nicht mehr für diesen Lebensbereich vor…
Immer mehr Lehrstellen der Auszubildenden bleiben unbesetzt oder werden nach kurzer Zeit gekündigt, weil ihnen die Anforderungen zu hoch erscheinen. Mehr Auszubildende aus asiatischen Regionen werden angeworben, die unseren Vorstellungen genügen. Unsere „harzen“, die anderen arbeiten! In aller Welt beneidet man uns um unser duales Berufsausbildungssystem, konnte ich immer wieder hören.
Eigentlich ist die Zukunft verspielt. Schon die alten Kulturen in Asien sind zu der Überzeugung gelangt: „Planst du für ein Jahr, säe Hirse. Planst du für 10 Jahre, pflanze Bäume. Planst du für 100 Jahre, erziehe Menschen!“
Schön wäre es, wenn Politik wenigstens über eine Wahlperiode hinaus schauen würde, denn wir haben nichts anderes unseren Wohlstand zu halten, als die Fähigkeiten und das Können der Menschen. Sicher, 10% der Einwohner reichen aus, den Staat zu führen, aber den Wohlstand in breiter Form sichert nur die breite Masse mit ihrem Wollen, ihrer Intelligenz.
Aber so ist das, der Schule fehlen die Lobbyisten. Mit Schule lässt sich aktuell kein Profit erzielen …
*Politik setzt auf biologische Lösung für das Zusammenwachsen von Ost/West
Eigentlich dachte ich vor 30 Jahren, dieses Land wird nie dein Land werden. Aber nun denke ich doch darüber nach, wie meine Kinder, Enkel, Urenkel die Zukunft erleben und im harten Wettbewerb weiter ihren Wohlstand sichern können.
Wenn ich so nachdenke, warum der Vereinigungsprozess Ost/West im Schneckengang verläuft und auf den biologischen Schwund der „gelernten“ DDR Bewohner setzt, freut es mich zu sehen, auch andere denken darüber nach.
In einem Spiegel Gespräch mit Herbert Grönemayer erläuterte der Sänger seinen Standpunkt zu diesem Problem (Der Spiegel Nr. 45/03.11.2018 ,S. 126):
„… Das alles ist schon 1990 entstanden. Aber wir haben nie richtig darüber gesprochen, dass sich zwei in meinen Augen komplett unterschiedliche Kulturen seit 28 Jahren versuchen sich zu vereinigen. Nicht Ost- und Westdeutsche, sondern eher wie Walonen und Flamen, so unterschiedlich sind diese Kulturen. Es wäre ehrlicher gewesen, mal zu fragen: Wie seht ihr die Dinge, was habt ihr für Erfahrungen? Einfach mal zuhören. Das haben wir aber nie gemacht. Wir haben die Menschen überrannt und aufgekauft. Niemand hat sich Gedanken gemacht, wie es ihnen geht in dieser neuen Struktur, in diesem kapitalistischen System. Alles, was sie gemacht haben, galt als Fehler. Sie waren generell eher unsicher in ihrer Identität, aber dennoch hatten sie etwas Eigenes geschaffen. Dieser Herausforderung müssen wir uns jetzt stellen.“
Das sagt kein verantwortlicher Politiker, sondern ein Sänger! Besser hätte ich das als Abschluss nicht ausdrücken können.
Sollte das immer noch nicht begriffen sein und der Focus weiter auf sehr laute ehemalige DDR Bürger gelegt werden, die aus unterschiedlichen Gründen Land und System gehasst haben und weiter ihre Sicht als allein gültig verbreiten, dann muss man wirklich auf die biologische Lösung zu „50 Jahre Wende“ warten …
Grönemayer hat sehr schön formuliert, was zu tun wäre: die Millionen Menschen, die DDR erlebt haben, mit ihren Erfahrungen, Wünschen, Lebensentwürfen zu Wort kommen lassen und anhören …
